Schon in den 1990er Jahren beschrieb der französische Philosoph Gilles Deleuze die Sozialform der Gegenwart als „Kontrollgesellschaft“. In der Kontrollgesellschaft, so seine These, unterzögen wir freiwillig alles Handeln dem Diktat der Selbstoptimierung und Selbstkontrolle. Damit werde die Fremdkontrolle überflüssig und jedes Scheitern als selbstverschuldet empfunden. Das autonome emanzipierte Subjekt höhlt sich damit – im Glauben selbstbestimmt zu sein – selbst aus.
Einige Jahre zuvor hatte Ulrich Beck bereits den Begriff der „Risikogesellschaft“ für eine Welt geprägt, die im Bewusstsein des überall drohenden Terrors lebt und die zunehmenden Sicherheitsdispositive als notwendige Selbstbeschränkung begreift.
Diese beiden Diagnosen verweisen darauf, dass die traditionelle Unterscheidung zwischen negativer und positiver Freiheit, also der „Freiheit von“ (Freiheit von Zwängen) und der „Freiheit zu“ (Freiheit, „einen Zustand von selbst anzufangen“, wie Kant es formulierte), womöglich nicht mehr greift. Zumindest wird dann, wenn man die positive Freiheit nutzt, um sich Sicherheitsdispositiven und Selbstoptimierungsprozessen zu unterwerfen, Freiheit problematisch.
Die Ansicht, dass es um die Freiheit nicht gut bestellt ist, wird in jüngerer Zeit aber auch von einer ganz anderen politischen Warte vertreten. So stilisieren sich gerade Rechtspopulisten zu „Freiheitskämpfern“ und beklagen einen Niedergang der Streitkultur. Sie diffamieren die Political Correctness und vertreten die These, dass westliche Demokratien eine ständige Selbstzensur betreiben, in der angeblich niemand mehr frei sprechen könne. Dabei würden zugleich Sicherheitsvorkehrungen verschärft wie auch ausgrenzende Maßnahmen und Mauern errichtet.
Wie aber ist diese Entwicklung tatsächlich zu deuten? Hat sich im Namen der Political Correctness eine informelle Diskurspolizei etabliert, die die Freiheit von Kunst und Wissenschaft sowie des Sagbaren überhaupt eingrenzt? Ist also das 21. Jahrhundert nicht nur das Zeitalter der totalen Überwachung, sondern auch eine Zeit der neuen Unfreiheit? Ist Chinas „Sozialkreditpunktesystem“ demnach nur eine staatlich regulierte Form einer ohnehin real stattfindenden Totalüberwachung, die in westlichen Demokratien eben nicht staatlich, sondern von privaten Unternehmensinteressen gesteuert werden? Schafft das Internet Freiheit und Demokratie ab?
Ganz offenbar kann der Verlauf der Geschichte nicht als ständig zunehmende Liberalisierung beschrieben werden. Unverkennbar gibt es weder eine ständig zunehmende Wertschätzung der persönlichen Autonomie noch eine Teleologie der Freiheit. Vielmehr zeigt der Blick in die Geschichte, dass Freiheit noch nie ein gesichertes, sondern immer schon umkämpftes Gut war, um das Gesellschaften wie auch Individuen ständig ringen mussten. Gleichwohl hat es den Anschein, als sei unsere gegenwärtige Zeit – womöglich mehr noch als andere Epochen – kein gutes Habitat für emphatische Freiheitsvorstellungen. Freiheit scheint vor allem deshalb gefährdet, weil ihr Gegenteil sich immer mehr der sinnlichen Wahrnehmung entzieht. Wenn sich das soziale Gewebe der Gesellschaft durch die omnipräsente Vernetzung und Big Data disruptiv wandelt, sich in Zeiten von Selfie-Kult und Social Media auch die Idee des autonomen Subjekts verändert und diese Subjektivität schließlich zunehmend Sicherheits- und Kontrolldispositiven unterworfen ist, so muss Freiheit – will man sie nicht preisgeben – einmal mehr neu gedacht und entworfen werden.
Doch wo lässt sich dabei ansetzen? Welche Denkfiguren und Handlungsoptionen finden sich in der Geschichte der Künste? Welche Rolle spielen Literatur, Bildende Kunst, Musik, Theater und Film beim Ringen um Freiheit? Diesen Fragen gehen wir in einer Reihe von Veranstaltungen nach.
Den Startpunkt bildet dabei die Ausstellung von Martina Mächler, die am 9. Oktober 2018 eröffnet wird. Begleitet wird sie von Lunch Talks und Lecture Performances – etwa auch der Abschlusspräsentation des von der VW-Stiftung geförderten Kunstforschungsprojektes „Working Utopias“, das sich mit der Freiheit und Kooperation in künstlerischen Arbeitsprozessen befasst. Am 04. Februar 2019 beginnt dann die zehnteilige Ringvorlesung „Inseln der Freiheit“ und am 8. März 2019 eröffnet die Ausstellung des Japanischen Künstlers und Aktivisten Yoshiaki Kaihatsu.